Hallo Ihr Lieben,
Einige von Euch werden mich noch kennen, allen anderen möchte ich mich kurz vorstellen. Auch ich habe – wie viele von Euch – in der Ruderriege des Carolinum seit der fünften Klasse das Rudern erlernt und bin bis zu meinem Abitur 2014 bei jeder Wanderfahrt und jedem Wettkampf dabei gewesen. Seitdem ich 15 Jahre alt bin, habe ich parallel Vereinswettkämpfe für den Osnabrücker RV bestritten. Diesen darf ich auch heute noch auf nationalen und internationalen Wettkämpfen vertreten und kann mich – nach ein paar erfolgreichen Jahren im U23-Bereich – mittlerweile als festes Mitglied der A-Nationalmannschaft bezeichnen.
Da dieses Jahr – mit dem Highlight der Olympischen Spiele im Sommer – ein ganz besonderes für mich werden sollte, hat Jan Jedamski mich gebeten von meiner bisherigen Saison und dem Einfluss durch die Covid-19 Pandemie zu berichten.
Ich wünsche allen Interessierten viel Spaß beim Lesen!
Nachdem ich letztes Jahr bereits den Sprung in die A-Nationalmannschaft geschafft habe, wenngleich das Ergebnis bei den Weltmeisterschaften mit Platz 15 im Doppelzweier und der dadurch verpassten direkten Olympiaqualifikation nicht zufriedenstellend war, wurde ich im Herbst in den zwölfköpfigen Kaderkreis des Team Frauen Skull für die Vorbereitungen auf die Olympische Saison berufen. Somit stand das Ziel fest. Ich wollte mir einen der sieben Bootsplätze sichern, um eine Chance auf eine Olympiateilnahme zu haben.
Den Trainingsauftakt durften wir im Oktober im Athletiktrainingslager auf Lanzarote machen, welches als besonderes Bonbon alle vier Jahre vor den Olympischen Spielen stattfindet. Dort fuhren wir zwei Wochen lang jede noch so schöne Ecke der Insel mit dem Rennrad ab und füllten die restlichen Trainingsstunden mit den verschiedenen Sportarten, die in dem Sportclub, in dem wir untergebracht waren, angeboten wurden. Eine sehr willkommene Abwechslung, um fit in die neue Saison zu starten!
Anschließend sollte es mit dem gemeinsamen Rudertraining in Berlin, wo wir in der Regel an fünf Tagen in der Woche mit der Nationalmannschaft trainieren, losgehen. Doch für mich sollte es anders kommen. Eine Woche zurück auf dem Wasser und ich durfte Skulls und Boot wieder in der Halle einstauben lassen. Diagnose Achillessehnenreizung. Meine Hoffnung einer schnellen Genesung wurde leider nicht bestätigt. Stattdessen verstrich Woche um Woche ohne signifikante Besserung. Statt Ergotest, Herbstlangstrecke und zwei Wochen Trainingslager in Portugal, hieß es für mich: tägliche Physiotherapie, ganz viel Ruhe für den Fuß und mich im Rahmen der Möglichkeiten fit zu halten. Nach zweieinhalb Monaten Abstinenz war kurz vor Weihnachten endlich Besserung in Sicht und ich konnte wieder schrittweise mit dem spezifischen Training beginnen. Es blieben 2 ½ Wochen, um wieder zum täglichen Training im Boot zurückzukehren, andernfalls dürfte ich nicht mit ins nächste Trainingslager. Dies hätte für mich das Aus für die kommende Saison bedeutet.
Glücklicherweise hielt mein Fuß der Belastung besser als erwartet stand und die Teilnahme am Trainingslager im spanischen Ourense war möglich. Trotz der Freude wieder im Boot zu sitzen und mit dem Team trainieren zu können, war Ungewissheit mein ständiger Begleiter. Hält mein Fuß der Belastung stand? Macht mein Körper den Umstieg auf das normale Trainingspensum mit? Schaffe ich rechtzeitig den Anschluss an die Leistung der Anderen? Denn es blieben bloß noch sieben Wochen bis zur Überprüfung im Einer, die einer der wichtigsten Faktoren für die Mannschaftsbildung war. Eigentlich eine viel zu kurze Zeit zur Vorbereitung. Doch ich wollte es probieren!
Die folgenden Wochen, von den wir den Großteil in Ourense trainieren durften, liefen gut für mich und ich konnte mich nicht nur von Tag zu Tag mehr belasten, sondern auch die große Lücke zu den Leistungen der Anderen ein stückweit schließen. Und ehe ich mich versah blieben nur noch 1 ½ Wochen bis zum Ergometertest. Die perfekte Zeit, um krank zu werden – dachte mein Körper sich. Es folgten Tage, die viel zu langsam vergingen, zu groß die Sorge nicht rechtzeitig wieder gesund zu werden und ohne überhaupt angefangen zu haben schon vor dem Ende der Saison zu stehen. Ja, in solchen Situationen, dramatisieren wir Sportler gerne. Wer kennt es nicht… Und wie hätte es anders sein sollen, ich wurde rechtzeitig zum Ergometertest wieder fit. Und nicht nur das, ich unterbot meine bisherige Bestzeit und wurde Zweitschnellste des Teams. Na also! Geht doch!
Mit gestärktem Selbstvertrauen ging es in die letzten Tage der Vorbereitung auf die Einerüberprüfung und schließlich in den Flieger nach Portugal. Denn die Überprüfung sollte, um dem deutschen Februarwetter zu entgehen, in Montemor-o-Velho, einer Kleinstadt nahe der Küste Portugals, stattfinden. Vor Ort blieben uns zwei Tage, um uns an die unbekannte Regattastrecke und die sehr wechselhaften Windbedingungen zu gewöhnen. Da es sich um einen internen Test und keinen offiziellen Wettkampf handelte, wurde der Wettkampf ohne Ausschluss der Öffentlichkeit, ohne Zwischenrufe der Trainer während des Rennens und ohne Starthelfer ausgefahren.
Da wir am Morgen des Wettkampfes Traumbedingungen hatten, wurde das Finale nicht nach Vorlaufplatzierung, sondern nach Zeit gesetzt. Lediglich der erste eines jeden Vorlaufes hatte direkt ein Platz im Finale sicher. Es hieß also: Direkt Vollgas geben. Und da stand ich in Portugal vor dem ersten und vorerst wichtigsten Rennen der Saison und fühlte mich nach dem schweren Winter dennoch sehr gut für die anstehende Aufgabe vorbereitet. Doch, dass ich so gut vorbereitet war, dass ich meinen Vorlauf gewinnen könnte, hätte ich nicht gedacht. Und so entwich mir direkt nach dem Vorlauf ein kleiner Freudenschrei, denn mit dem Sieg war ich sicher im Finale und somit bereits unter den schnellsten sechs! Damit hatte keiner gerechnet! Im Finale am Nachmittag konnte ich meine Leistung vom Morgen leider nicht bestätigen und musste mich bei Schaumkronen und ordentlich Gegenwind nach einem neunminütigen Kampf mit dem sechsten Platz geschlagen geben. So überwog trotz der unerwartet guten Leistung am Ende des Tages die Enttäuschung und das Bangen, um ein Platz in der Mannschaft begann von Neuem.
Unmittelbar im Anschluss an die Einerüberprüfung ging es mit dem Bus nach Spanien, um in Ourense weitere zwei Wochen zu trainieren. Dort sollte auch die finale Entscheidung getroffen werden, wie die Boote für die Saison besetzt werden. Die Zeit bis zu dieser Entscheidung ist immer mit viel Anspannung im Team verbunden. Denn wenngleich die Ergebnisse aus Ergo- und Einertest vorliegen, spielen für die Besetzung der Boote weitere Faktoren, wie Passfähigkeit, Erfahrung, ähnliche Vorstellungen vom Ruderschlag und auch Trainingsleistungen eine Rolle. Daher kann man sich trotz noch so guter Ergebnisse nie in Sicherheit wiegen. Am Tag der Entscheidung lobten unsere Trainer zunächst die Ergebnisse der letzten Wochen und benannten anschließend den Doppelvierer. Mein Name war nicht dabei. Das kam für mich nicht unerwartet, da ich in diesem Winter auch im Training selten im Vierer eingesetzt wurde. Als mein Name aber auch bei der Benennung des Doppelzweiers, meiner favorisierten Bootsklasse, nicht fiel, stieg die Anspannung. Es blieben nur noch zwei Plätze: Der Einer und der Platz der Ersatzfrau. Es wurde der Einer! Eine der größten Herausforderungen im internationalen Geschäft.
Doch ich wollte mich dieser Aufgabe annehmen und konnte mich – nach einigen Gesprächen mit Trainern und Vertrauten – gut mit meiner neuen Rolle im Team identifizieren. Dass meine Chancen für Olympia sanken, da der Einer noch nachqualifiziert werden musste und bloß noch zwei Startplätze zu vergeben waren, geriet in den Hintergrund. Die Freude, nach dem schweren Winter ein fester Bestandteil des Teams zu sein und eine Saison im Einer absolvieren zu dürfen, überwog!
Leider hielt diese nicht lange an, denn mit der raschen Ausbreitung des Coronavirus überschlugen sich die Ereignisse. Weltcup I und II in Italien wurden abgesagt. Wir reisten fluchtartig von einem Tag auf den anderen aus dem Trainingslager in Spanien ab und zu Hause angekommen erfuhren wir von der Absage der Olympischen Nachqualifikation und des Weltcup III in Luzern. Somit waren bis auf die Europameisterschaften und die Olympischen Spiele bereits im März alle Wettkämpfe abgesagt. Egal, ob das Internationale Olympische Komitee und der Veranstalter an den Spielen festhalten würden oder nicht, ohne eine Nachqualifikation, hatte ich auch keine Chance mehr um einen Platz zu kämpfen. Dies war sportlich für mich der wohl schwerste Moment der letzten Monate. Da half es auch nicht, dass unser Weltverband ankündigte ein neues System zur Qualifikation auszuarbeiten und ggf. mehr Plätze bereitzustellen.
Außerdem glaubten die meisten von uns ohnehin nicht mehr an eine Durchführung der Olympischen Spiele zum geplanten Zeitpunkt. Und dennoch blieb uns nichts anderes übrig so weiter zu trainieren, als würden die Spiele stattfinden. Dass kurze Zeit später alle Trainingsstätten geschlossen wurden und wir – wie auch ihr – nur noch unter sehr begrenzten Möglichkeiten zu Hause trainieren konnte, machte die Umsetzung nicht einfacher. Ein- bis zweimal täglich ging es in meinem Zimmer für 90 Minuten auf das Ruderergometer, dazu stand Krafttraining im Garten meiner Eltern oder mit Haushaltsgegenständen in der eigenen Wohnung an. Einzig die regelmäßigen Einheiten auf dem Rennrad hielten die schwindende Motivation etwas hoch. Da das Internationale Olympische Komitee (IOC) und der Veranstalter weiterhin eisern an der Durchführung Olympias festhielten, während die Pandemie sich weiter ausbreitete, kam besonders in Sportlerkreisen große Unruhe auf. Die ersten Nationen – darunter beispielsweise Kanada – hatten bereits angekündigt ihre Mannschaften im Sommer nicht nach Tokio zu den Spielen zu schicken und auch in Deutschland begannen Gespräche zwischen uns Sportlern und dem DOSB bezüglich einer solchen Entscheidung. Daher war ich – so traurig es auch klingen mag – tatsächlich froh, als die Entscheidung der Verlegung der Olympischen Spiele in das nächste Jahr fiel. Froh deswegen, weil wir Sportler nun endlich Gewissheit hatten und wussten womit wir planen können, aber vor allem deswegen, weil das IOC nicht weiter das Gefühl vermittelt hat, mit dem Festhalten an den Olympischen Spielen über den Dingen zu stehen. So enttäuschend und ernüchternd die Verschiebung für alle Sportler weltweit ist, war es leider die einzig richtige Entscheidung. Außerdem wären die Wettkämpfe auch aus sportlicher Sicht und insbesondere aus Sicht des Fairplays mehr als fraglich gewesen, da jedes Land verschiedene Möglichkeiten zur Ausführung des Trainings gewährleistete und in den meisten Ländern die Dopingkontrollen ausgesetzt oder reduziert wurden.
Aufgrund der neuen Situation entschieden sich die Trainer unser Training zu reduzieren. Durch die neugewonnene Zeit entschied ich mich den Fokus stärker auf mein Studium, welches ich in der letzten Saison aufgrund der Olympiavorbereitung stark reduziert hatte, zu legen. Parallel zu der neuen Aufgabe meine Bachelorarbeit zu schreiben, kam auch die Trainingsmotivation wieder. Denn wir Bundeskaderathleten erhielten das Privileg, welches ich nicht einzufordern gewagt hätte, nach und nach unsere Trainingsstätten wieder zu nutzen. Wir begannen mit dem Training im Einer, durften einige Wochen später auch wieder in Zweiergruppen den Kraftraum benutzen und im Zweier aufs Wasser. So kehrte für uns doch schon relativ rasch ein gewisser Trainingsalltag zurück.
Da der Weltverband für den Oktober nach aktuellem Stand mit der Austragung der Europameisterschaften im polnischen Posen plant, haben wir unser Trainingspensum mittlerweile entsprechend erhöht und das gemeinsame Training mit der Mannschaft wieder aufgenommen. Denn seitdem die Einschränkungen im (Leistungs-)Sport gelockert wurden, dürfen wir unter Auflagen wieder im Leistungszentrum in Berlin trainieren. Auch wenn es aktuell noch sehr ungewiss ist, ob im Oktober ein Wettkampf dieser Art unter vertretbaren Voraussetzungen stattfinden kann, würde es mich freuen nach einem Jahr reinem Training – abgesehen von der Einerüberprüfung – endlich wieder einen Wettkampf zu bestreiten. Denn so viel Spaß das Training auch macht, ist Rudern ohne Wettkämpfe eben nicht das Gleiche.
Ich hoffe, dass auch ihr bald wieder im Boot sitzen könnt!
Bis dahin,
Eure Pia
Foto 1: Pia Greiten, Fotograf: Y. Schurwanz.
Foto 2: Pia Greiten und Leonie Menzel im Doppelzweier bei der WM 2019, Fotograf: D. Seyb/MyRowingPhoto.com.